EssayNicht zwei Halb­zei­ten, sondern Gleich­zei­tig­kei­ten – Ich und der Fußball

Bildungs­re­fe­ren­tin Céline Wendel­gaß ist seit ihrer Kind­heit Fußball­fan. Doch immer wieder hadert sie mit ihrer Leiden­schaft für den Sport. Denn Sexis­mus und Rassis­mus sind im Stadion trotz roter Karte noch immer viel zu präsent.

Seit ich ein Kind war, schaue ich Fußball – ob auf dem Dorf­platz, im Stadion oder als Fern­seh­über­tra­gung zu Hause und in der Kneipe. Die Bezie­hung zu meinem Hobby ist nicht immer einfach. Mal bietet es mir eine gelun­gene Abwechs­lung, mal bringt es mich in Situa­tio­nen, in denen ich nicht sein möchte. Biswei­len fällt es mir schwer zu erklä­ren, warum diese Leiden­schaft bleibt.

Mein Leben als Fan

Ein Fan-Herz gehört meist nur einem Verein. „Mitein­ge­kauft“ hat man damit jedoch auch, welche ande­ren Teams nicht gemocht werden sowie etwa­ige Team­ri­va­li­tä­ten. Dies gilt sowohl in den natio­na­len Ligen als auch in den Natio­nal­mann­schaf­ten. Zuge­ge­ben, mir war die Natio­nal­mann­schaft immer eher ein Graus.

© Nava Zara­bian

„Beim Fußball geht es um Zuge­hö­rig­kei­ten, deshalb wird vom Lieb­lings­ver­ein häufig auch als einer Fami­lie gespro­chen.“

Das hatte damit zu tun, dass ich als Kind dabei zuse­hen musste, wie zwei Lieb­lings­spie­ler aus meinem Team plötz­lich bei einem Länder­spiel gegen­ein­an­der antre­ten muss­ten – einer war in dieser Konstel­la­tion nun in der deut­schen, der andere in der kroa­ti­schen Natio­nal­mann­schaft vertre­ten. Das war zu viel für mich. Wenn Länder­spiele statt­fan­den, spielte zudem mein Team nicht – denn dann macht die Bundes­liga immer Pause. Dennoch wusste ich, dass Fans der deut­schen Natio­nal­mann­schaft die nieder­län­di­schen Fans „hass­ten“, was mir diese wiederum sympa­thisch machte.

Fußball als iden­ti­täts­stif­ten­der Raum der Zuge­hö­rig­keit

Ratio­nal lassen sich diese Emotio­nen kaum begrün­den, aber sie sind abso­lut iden­ti­täts­stif­tend. Denn beim Fußball geht es um Zuge­hö­rig­kei­ten, deshalb wird vom Lieb­lings­ver­ein häufig auch als einer Fami­lie gespro­chen. Es ist eine Art „selbst­ge­wählte“ Fami­lie, was die Zuge­hö­rig­keit zu einer selbst­be­stimm­ten Entschei­dung werden lässt, unab­hän­gig davon, wie selbst­be­stimmt sie tatsäch­lich sein mag. Denn meis­tens wird ein Team zum Lieb­lings­ver­ein auser­ko­ren, das in der Nähe spielt, beson­ders erfolg­reich ist oder von dem ein oder beide Eltern­teile bereits Fan sind.

Über Ausgren­zung im Fußball

Dieses Gefühl der Zuge­hö­rig­keit beim Fußball war mir als Kind sehr vertraut. Mit dem Beginn der Puber­tät trat aller­dings eine Verän­de­rung ein. Als Jugend­li­che wandel­ten sich meine Erfah­run­gen rapide. „Na, Berufs­wunsch: Spie­ler­frau?“ oder „Oh, soll ich dir mal die Abseits­re­gel erklä­ren?“ waren nur zwei der Sätze, die ab jetzt zu meinen steti­gen Beglei­tern in der Fußball­welt wurden.

© jato­create | Pixa­bay

Ich habe versucht dage­gen anzu­kämp­fen und es hat viel zu lange gedau­ert, bis mir klar wurde: Es lohnt sich nicht. Wenn ich sage, dass ich Fußball-Fan bin, kommt bis heute von vielen Männern (ja, ich schreibe das bewusst) zunächst die Frage: „Kannst du mir denn den Kader der Mann­schaft aufsa­gen?“. Darauf antworte ich nicht mehr. Mir wurde im Laufe der Jahre zuneh­mend klar, dass der Ort, der für mich als Kind ein abso­lu­tes High­light war, sich auch schnell zu einem Raum der Ausgren­zung wandeln kann und das schmerzt manch­mal sehr.

Haltung zeigen bei rassis­ti­schen Belei­di­gun­gen

Dass es nicht nur Sexis­mus, sondern u.a. auch Rassis­mus im Stadion gibt, habe ich aller­dings schon sehr früh gelernt – bei einem meiner ersten Besu­che als Kind. An eine Situa­tion erin­nere ich mich noch sehr genau: Ich war mit meinem Papa bei einem Spiel auf den Sitz­plät­zen im Stadion. In der Reihe hinter uns haben mehrere ältere Männer einen Spie­ler mit dem N-Wort belei­digt. Ich wusste als Kind zu dem Zeit­punkt nicht, dass das Wort eine rassis­ti­sche Beschimp­fung ist, mein Papa aber sehr wohl.

Er sprang auf und sagte den Männern laut und deut­lich, dass sie ihren Mund halten sollen. Ich glaube, das Ereig­nis blieb mir so nach­hal­tig in Erin­ne­rung, da ich meinen Papa noch nie so wütend und laut erlebt hatte. Im Anschluss haben meine Eltern die rassis­ti­schen Kommen­tare für mich einge­ord­net und ich bekam vorge­lebt, immer Gegen­worte zu geben, wenn solche Aussa­gen fallen, oder zumin­dest Ordner*innen Bescheid zu geben, um nicht selbst in eine bedroh­li­che Situa­tion zu gera­ten.

Sexis­mus und Rassis­mus – im Stadion keine Ausnahme

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Erst kürz­lich wurde ich wieder Zeugin einer ähnli­chen diskri­mi­nie­ren­den Szene­rie. Ich war mit Freund*innen im Bren­ta­no­sta­dion in Frank­furt am Main bei einem Spiel der Eintracht Frank­furt Frauen. Der FC Bayern München war zu Gast. Das Wetter war schön, wir genos­sen die Zeit mitein­an­der und waren bester Laune. Doch da war auch dieser Typ vor uns, der laut­stark und unüber­hör­bar immer wieder vor sich hin brüllte, die Fan-Gesänge falsch mitsang und uns damit mäch­tig anstrengte. Doch das war nicht alles.

Plötz­lich schrie er immer wieder: „F****“ – teils Rich­tung Himmel, teils ziel­ge­rich­tet gegen die Schieds­rich­te­rin oder die Spieler*innen. Nicht nur wir, sondern auch einige andere Leute um uns herum, waren genervt und forder­ten ihn auf, die sexis­ti­schen Belei­di­gun­gen zu unter­las­sen. Kurz vor dem Ende des Spiels entschied eine Freun­din von mir, ihn aber­mals darauf anzu­spre­chen. Sie bat ihn, uns diesen sexis­ti­schen Mist endlich zu erspa­ren. Als Reak­tion belei­digte er sie rassis­tisch. Der hinzu­ge­ru­fene Ordner nahm die Situa­tion zum Glück sehr ernst, rief den Sicher­heits­dienst, dieser wiederum die Poli­zei. Eine Anzeige läuft.

Wem gehört das Stadion? Verein­nah­mung beim Frau­en­fuß­ball

Das Stadion am Bren­ta­nobad war zu Zeiten des 1. FFC Frank­furt ein nette­rer Ort. Was sich verän­dert hat? Die Zusam­men­füh­rung mit der Eintracht Frank­furt 2020 zieht nun mehr Fans – und auch viele Fans der Eintracht-Männer – ins Stadion. Das erhöht die Zuschauer*innenzahl (in dem Stadion werden die Besucher*innen auch gegen­dert), was schön ist, aber eben auch Probleme nach sich zieht. Denn manche dieser Fans brin­gen die glei­che Aggres­si­vi­tät, die sie sonst bei den Männer­spie­len an den Tag legen mit und versu­chen dadurch ein für sie „rich­ti­ges“ Stadi­on­er­leb­nis zu schaf­fen, ohne darauf zu achten, ob dies der rich­tige Ort dafür ist.

Für sie herr­schen keine Gleich­zei­tig­kei­ten beim Fußball, was bedeu­ten würde, dass man sich bei unter­schied­li­chen Spie­len und Ligen auch gege­be­nen­falls anders verhält. Sie versu­chen viel­mehr, die für sie neuen Orte zu verein­nah­men, da sie es gewohnt sind, dass jeder Raum, ihnen „gehört“. Das schließt aller­dings meis­tens mit ein, dass das Stadion für alle, auf die das Label „weißer, cis-hetero Mann“ nicht zutrifft, zu einer unan­ge­neh­me­ren, wenn nicht sogar gefähr­li­che­ren Loka­li­tät wird.

Fußball als Spie­gel der Gesell­schaft – aber inwie­fern?

Warum ich diese Geschichte aufge­schrie­ben habe? Weil ich es wich­tig finde, einen Blick darauf zu werfen, was im Stadion alles passiert – vermut­lich bei jedem Spiel. Ich beob­achte Debat­ten rund um Sexis­mus, Rassis­mus, Queer­feind­lich­keit und Anti­se­mi­tis­mus im Fußball genau. Zu selten wird dabei konkret ein Augen­merk darauf gelegt, wie es gelin­gen kann, dass sich Menschen im Stadion sicher fühlen können. Dabei wird Fußball häufig als Spie­gel der Gesell­schaft bezeich­net. Das stimmt inso­fern, als dass das Fußball­sta­dion ein Ort weißer hete­ro­nor­ma­ti­ver Männ­lich­keit ist, genauso wie die Gesell­schaft.

„Viele meiner männ­li­chen Freunde verste­hen bis heute nicht, dass ich mich im Stadion nicht immer sicher fühle, und ich bin „nur“ eine weiße Frau.“

Wird es besser? Posi­tio­nie­rung gegen Diskri­mi­nie­rungs­for­men beim Fußball

Außer von Sexis­mus bin ich von ande­ren Diskri­mi­nie­rungs­for­men im Stadion nicht direkt betrof­fen. Das bedeu­tet aber nicht, dass es mir egal ist, oder dass es nicht mein Problem ist. Dabei ist mein Blick auf den Fußball heute stark geprägt durch meinen Job als poli­ti­sche Bild­ne­rin. Komplett auszu­blen­den, was alles Nega­ti­ves und Diskri­mi­nie­ren­des im Stadion passiert, ist nur schwer bis gar nicht möglich – und es kommt für mich auch gar nicht in Frage.

Dennoch gehe ich weiter­hin zu Fußball­spie­len und beob­achte immer wieder, dass es Perso­nen, Vereine und Akteur*innen gibt, die ernst­haft versu­chen etwas zu verbes­sern. Seien es Fan-Szenen, die sich poli­tisch gegen Diskri­mi­nie­rung äußern oder Vereine, die sich, unter ande­rem auch mit Bezug auf ihre Satzung, gegen Diskri­mi­nie­rung posi­tio­nie­ren und Nazi-Fashion­mar­ken im Stadion verbie­ten – oder Projekte wie „Zusam­men 1“, die Work­shops im Sport anbie­ten und damit Spieler*innen, Vereine und Schiedsrichter*innen für Diskri­mi­nie­rung, Anti­se­mi­tis­mus und Rassis­mus im Sport sensi­bi­li­sie­ren.

Nicht nur Halb­zei­ten, sondern Gleich­zei­tig­kei­ten aushal­ten

Wie steht es nun also um meine Iden­ti­tät als Fußball-Fan? Will ich sie „verler­nen“, noch besser verste­hen oder kritisch hinter­fra­gen? Noch habe ich keine eindeu­tige Antwort darauf. Was für mich jedoch fest­steht, ist, dass ich ein ambi­va­len­tes Verhält­nis zu meiner Iden­ti­tät als Fußball-Fan habe und sich das wohl nicht ändern wird. Denn ich möchte nicht nur zwei Halb­zei­ten, sondern auch die Gleich­zei­tig­kei­ten im Fußball aushal­ten. So lange ich mich als Fußball-Fan iden­ti­fi­ziere (und das tue ich) sind diskri­mi­nie­rende Vorfälle ein Problem für mich, gegen das ich mich stelle, unab­hän­gig davon, mit wem ich im Stadion bin.

© Felix Schmitt

Céline Wendel­gaß studierte Sozio­lo­gie und Erzie­hungs­wis­sen­schaft in Frank­furt am Main. Sie ist als Bildungs­re­fe­ren­tin bei der Bildungs­stätte Anne Frank tätig. Ihre Schwer­punkte liegen in der histo­risch-poli­ti­schen Bildung sowie der anti­se­mi­tis­mus- und rassis­mus­kri­ti­schen Jugend­bil­dung. Sie hat das inter­ak­tive Lern­la­bor „Anne Frank. Morgen mehr.“ sowie das Serious Game „Hidden Codes“ zur Radi­ka­li­sie­rungs­prä­ven­tion mitent­wi­ckelt. Zudem beschäf­tigt sie sich mit dem Zusam­men­spiel von Popkul­tur und Diskri­mi­nie­rung.

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