Bildungsreferentin Céline Wendelgaß ist seit ihrer Kindheit Fußballfan. Doch immer wieder hadert sie mit ihrer Leidenschaft für den Sport. Denn Sexismus und Rassismus sind im Stadion trotz roter Karte noch immer viel zu präsent.
Seit ich ein Kind war, schaue ich Fußball – ob auf dem Dorfplatz, im Stadion oder als Fernsehübertragung zu Hause und in der Kneipe. Die Beziehung zu meinem Hobby ist nicht immer einfach. Mal bietet es mir eine gelungene Abwechslung, mal bringt es mich in Situationen, in denen ich nicht sein möchte. Bisweilen fällt es mir schwer zu erklären, warum diese Leidenschaft bleibt.
Mein Leben als Fan
Ein Fan-Herz gehört meist nur einem Verein. „Miteingekauft“ hat man damit jedoch auch, welche anderen Teams nicht gemocht werden sowie etwaige Teamrivalitäten. Dies gilt sowohl in den nationalen Ligen als auch in den Nationalmannschaften. Zugegeben, mir war die Nationalmannschaft immer eher ein Graus.

„Beim Fußball geht es um Zugehörigkeiten, deshalb wird vom Lieblingsverein häufig auch als einer Familie gesprochen.“
Das hatte damit zu tun, dass ich als Kind dabei zusehen musste, wie zwei Lieblingsspieler aus meinem Team plötzlich bei einem Länderspiel gegeneinander antreten mussten – einer war in dieser Konstellation nun in der deutschen, der andere in der kroatischen Nationalmannschaft vertreten. Das war zu viel für mich. Wenn Länderspiele stattfanden, spielte zudem mein Team nicht – denn dann macht die Bundesliga immer Pause. Dennoch wusste ich, dass Fans der deutschen Nationalmannschaft die niederländischen Fans „hassten“, was mir diese wiederum sympathisch machte.
Fußball als identitätsstiftender Raum der Zugehörigkeit
Rational lassen sich diese Emotionen kaum begründen, aber sie sind absolut identitätsstiftend. Denn beim Fußball geht es um Zugehörigkeiten, deshalb wird vom Lieblingsverein häufig auch als einer Familie gesprochen. Es ist eine Art „selbstgewählte“ Familie, was die Zugehörigkeit zu einer selbstbestimmten Entscheidung werden lässt, unabhängig davon, wie selbstbestimmt sie tatsächlich sein mag. Denn meistens wird ein Team zum Lieblingsverein auserkoren, das in der Nähe spielt, besonders erfolgreich ist oder von dem ein oder beide Elternteile bereits Fan sind.
Über Ausgrenzung im Fußball
Dieses Gefühl der Zugehörigkeit beim Fußball war mir als Kind sehr vertraut. Mit dem Beginn der Pubertät trat allerdings eine Veränderung ein. Als Jugendliche wandelten sich meine Erfahrungen rapide. „Na, Berufswunsch: Spielerfrau?“ oder „Oh, soll ich dir mal die Abseitsregel erklären?“ waren nur zwei der Sätze, die ab jetzt zu meinen stetigen Begleitern in der Fußballwelt wurden.

Ich habe versucht dagegen anzukämpfen und es hat viel zu lange gedauert, bis mir klar wurde: Es lohnt sich nicht. Wenn ich sage, dass ich Fußball-Fan bin, kommt bis heute von vielen Männern (ja, ich schreibe das bewusst) zunächst die Frage: „Kannst du mir denn den Kader der Mannschaft aufsagen?“. Darauf antworte ich nicht mehr. Mir wurde im Laufe der Jahre zunehmend klar, dass der Ort, der für mich als Kind ein absolutes Highlight war, sich auch schnell zu einem Raum der Ausgrenzung wandeln kann und das schmerzt manchmal sehr.
Haltung zeigen bei rassistischen Beleidigungen
Dass es nicht nur Sexismus, sondern u.a. auch Rassismus im Stadion gibt, habe ich allerdings schon sehr früh gelernt – bei einem meiner ersten Besuche als Kind. An eine Situation erinnere ich mich noch sehr genau: Ich war mit meinem Papa bei einem Spiel auf den Sitzplätzen im Stadion. In der Reihe hinter uns haben mehrere ältere Männer einen Spieler mit dem N-Wort beleidigt. Ich wusste als Kind zu dem Zeitpunkt nicht, dass das Wort eine rassistische Beschimpfung ist, mein Papa aber sehr wohl.
Er sprang auf und sagte den Männern laut und deutlich, dass sie ihren Mund halten sollen. Ich glaube, das Ereignis blieb mir so nachhaltig in Erinnerung, da ich meinen Papa noch nie so wütend und laut erlebt hatte. Im Anschluss haben meine Eltern die rassistischen Kommentare für mich eingeordnet und ich bekam vorgelebt, immer Gegenworte zu geben, wenn solche Aussagen fallen, oder zumindest Ordner*innen Bescheid zu geben, um nicht selbst in eine bedrohliche Situation zu geraten.
Sexismus und Rassismus – im Stadion keine Ausnahme

Erst kürzlich wurde ich wieder Zeugin einer ähnlichen diskriminierenden Szenerie. Ich war mit Freund*innen im Brentanostadion in Frankfurt am Main bei einem Spiel der Eintracht Frankfurt Frauen. Der FC Bayern München war zu Gast. Das Wetter war schön, wir genossen die Zeit miteinander und waren bester Laune. Doch da war auch dieser Typ vor uns, der lautstark und unüberhörbar immer wieder vor sich hin brüllte, die Fan-Gesänge falsch mitsang und uns damit mächtig anstrengte. Doch das war nicht alles.
Plötzlich schrie er immer wieder: „F****“ – teils Richtung Himmel, teils zielgerichtet gegen die Schiedsrichterin oder die Spieler*innen. Nicht nur wir, sondern auch einige andere Leute um uns herum, waren genervt und forderten ihn auf, die sexistischen Beleidigungen zu unterlassen. Kurz vor dem Ende des Spiels entschied eine Freundin von mir, ihn abermals darauf anzusprechen. Sie bat ihn, uns diesen sexistischen Mist endlich zu ersparen. Als Reaktion beleidigte er sie rassistisch. Der hinzugerufene Ordner nahm die Situation zum Glück sehr ernst, rief den Sicherheitsdienst, dieser wiederum die Polizei. Eine Anzeige läuft.
Wem gehört das Stadion? Vereinnahmung beim Frauenfußball
Das Stadion am Brentanobad war zu Zeiten des 1. FFC Frankfurt ein netterer Ort. Was sich verändert hat? Die Zusammenführung mit der Eintracht Frankfurt 2020 zieht nun mehr Fans – und auch viele Fans der Eintracht-Männer – ins Stadion. Das erhöht die Zuschauer*innenzahl (in dem Stadion werden die Besucher*innen auch gegendert), was schön ist, aber eben auch Probleme nach sich zieht. Denn manche dieser Fans bringen die gleiche Aggressivität, die sie sonst bei den Männerspielen an den Tag legen mit und versuchen dadurch ein für sie „richtiges“ Stadionerlebnis zu schaffen, ohne darauf zu achten, ob dies der richtige Ort dafür ist.
Für sie herrschen keine Gleichzeitigkeiten beim Fußball, was bedeuten würde, dass man sich bei unterschiedlichen Spielen und Ligen auch gegebenenfalls anders verhält. Sie versuchen vielmehr, die für sie neuen Orte zu vereinnahmen, da sie es gewohnt sind, dass jeder Raum, ihnen „gehört“. Das schließt allerdings meistens mit ein, dass das Stadion für alle, auf die das Label „weißer, cis-hetero Mann“ nicht zutrifft, zu einer unangenehmeren, wenn nicht sogar gefährlicheren Lokalität wird.
Fußball als Spiegel der Gesellschaft – aber inwiefern?
Warum ich diese Geschichte aufgeschrieben habe? Weil ich es wichtig finde, einen Blick darauf zu werfen, was im Stadion alles passiert – vermutlich bei jedem Spiel. Ich beobachte Debatten rund um Sexismus, Rassismus, Queerfeindlichkeit und Antisemitismus im Fußball genau. Zu selten wird dabei konkret ein Augenmerk darauf gelegt, wie es gelingen kann, dass sich Menschen im Stadion sicher fühlen können. Dabei wird Fußball häufig als Spiegel der Gesellschaft bezeichnet. Das stimmt insofern, als dass das Fußballstadion ein Ort weißer heteronormativer Männlichkeit ist, genauso wie die Gesellschaft.
„Viele meiner männlichen Freunde verstehen bis heute nicht, dass ich mich im Stadion nicht immer sicher fühle, und ich bin „nur“ eine weiße Frau.“
Wird es besser? Positionierung gegen Diskriminierungsformen beim Fußball
Außer von Sexismus bin ich von anderen Diskriminierungsformen im Stadion nicht direkt betroffen. Das bedeutet aber nicht, dass es mir egal ist, oder dass es nicht mein Problem ist. Dabei ist mein Blick auf den Fußball heute stark geprägt durch meinen Job als politische Bildnerin. Komplett auszublenden, was alles Negatives und Diskriminierendes im Stadion passiert, ist nur schwer bis gar nicht möglich – und es kommt für mich auch gar nicht in Frage.
Dennoch gehe ich weiterhin zu Fußballspielen und beobachte immer wieder, dass es Personen, Vereine und Akteur*innen gibt, die ernsthaft versuchen etwas zu verbessern. Seien es Fan-Szenen, die sich politisch gegen Diskriminierung äußern oder Vereine, die sich, unter anderem auch mit Bezug auf ihre Satzung, gegen Diskriminierung positionieren und Nazi-Fashionmarken im Stadion verbieten – oder Projekte wie „Zusammen 1“, die Workshops im Sport anbieten und damit Spieler*innen, Vereine und Schiedsrichter*innen für Diskriminierung, Antisemitismus und Rassismus im Sport sensibilisieren.
Nicht nur Halbzeiten, sondern Gleichzeitigkeiten aushalten
Wie steht es nun also um meine Identität als Fußball-Fan? Will ich sie „verlernen“, noch besser verstehen oder kritisch hinterfragen? Noch habe ich keine eindeutige Antwort darauf. Was für mich jedoch feststeht, ist, dass ich ein ambivalentes Verhältnis zu meiner Identität als Fußball-Fan habe und sich das wohl nicht ändern wird. Denn ich möchte nicht nur zwei Halbzeiten, sondern auch die Gleichzeitigkeiten im Fußball aushalten. So lange ich mich als Fußball-Fan identifiziere (und das tue ich) sind diskriminierende Vorfälle ein Problem für mich, gegen das ich mich stelle, unabhängig davon, mit wem ich im Stadion bin.
Über die Autorin

Céline Wendelgaß studierte Soziologie und Erziehungswissenschaft in Frankfurt am Main. Sie ist als Bildungsreferentin bei der Bildungsstätte Anne Frank tätig. Ihre Schwerpunkte liegen in der historisch-politischen Bildung sowie der antisemitismus- und rassismuskritischen Jugendbildung. Sie hat das interaktive Lernlabor „Anne Frank. Morgen mehr.“ sowie das Serious Game „Hidden Codes“ zur Radikalisierungsprävention mitentwickelt. Zudem beschäftigt sie sich mit dem Zusammenspiel von Popkultur und Diskriminierung.