Inter­view„Anti-asia­ti­scher Rassis­mus ist im deut­schen Diskurs nach wie vor sehr unter­re­prä­sen­tiert.“

In ihrem Buch „Das Ende der Unsicht­bar­keit. Warum wir über anti-asia­ti­schen Rassis­mus spre­chen müssen“ verhan­delt Akti­vis­tin und Autorin Hami Nguyen die Themen anti-asia­ti­scher Rassis­mus und Klasse sehr persön­lich – am Beispiel ihrer eige­nen Lebens­ge­schichte. Das Buch erschien im Okto­ber 2023 im Ullstein Verlag. Wir haben sie zu einem Gespräch dazu getrof­fen.

Vielen Dank! In meinem Buch geht es um anti-asia­ti­schen Rassis­mus und wie dieser das Leben asia­tisch wahr­ge­nom­me­ner Menschen prägt und beein­flusst. Diese Rassis­mus­form ist im deut­schen Diskurs nach wie vor sehr unter­re­prä­sen­tiert. Anhand meiner Fami­li­en­ge­schichte zeige ich auf, wie eng verfloch­ten anti-asia­ti­scher Rassis­mus mit der Histo­rie rassis­ti­scher Gewalt und rigi­der Asyl­po­li­tik Deutsch­lands zusam­men­hängt.

Anti-asia­ti­scher Rassis­mus lässt sich am besten anhand von Beispie­len erklä­ren, die für Nicht­be­trof­fene so alltäg­lich sind, dass sie auf den ersten Blick gar nicht als rassis­tisch markiert werden. Asia­tisch gele­se­nen Menschen wird oft nach­ge­sagt, sie seien beson­ders flei­ßig, ange­passt oder gut in Mathe, also ein Teil der soge­nann­ten Vorzei­ge­min­der­heit. Diese Zuschrei­bun­gen sind vermeint­lich posi­tiv und doch sind es Zuschrei­bun­gen einer gesam­ten Gruppe aufgrund äuße­rer Merk­male. Ein ande­res Beispiel ist die Hyper­se­xua­li­sie­rung asia­ti­scher Frauen. Hier wird ihnen vermeint­li­che Unter­wür­fig­keit und sexu­elle Verfüg­bar­keit zuge­schrie­ben.

Unter Klas­sis­mus versteht man die struk­tu­relle Diskri­mi­nie­rung aufgrund der sozio-ökono­mi­schen Schicht.

Die Inter­sek­tion zwischen Rassis­mus und Klas­sis­mus beein­flusste mein Leben und das vieler ande­rer viet­na­me­si­scher Menschen in Deutsch­land sehr stark. Nach dem Mauer­fall wurden die meis­ten ehema­li­gen Vertragsarbeiter*innen abge­scho­ben. Der Rest bean­tragte Asyl und viele muss­ten mit einer Duldung leben. Eine Duldung ist kein Aufent­halts­ti­tel, sondern bedeu­tet ledig­lich, dass die Abschie­bung ausge­setzt ist. Dies bedeu­tete auch, dass wir keine Arbeits­er­laub­nis beka­men und somit gezwun­gen waren, von Sozi­al­leis­tun­gen zu leben, die sehr nied­rig waren. Das Leben in Armut prägte also meine Kind­heit und die Kind­heit vieler ande­rer Menschen mit ähnli­chen Flucht- oder Migra­ti­ons­er­fah­run­gen.

„Die Inter­sek­tion zwischen Rassis­mus und Klas­sis­mus beein­flusste mein Leben und das vieler ande­rer viet­na­me­si­scher Menschen in Deutsch­land sehr stark.“

Spätes­tens die Pande­mie hat gezeigt, dass der Rassis­mus gegen asia­tisch wahr­ge­nom­me­nen Menschen salon­fä­hig ist. In den Medien werden bestimmte Essge­wohn­hei­ten bspw. aus China oder Thai­land exoti­siert, also als „eklig“ oder „unzi­vi­li­siert“ darge­stellt. Denken wir da an gegrillte Insek­ten auf thai­län­di­schen Märk­ten, die im Übri­gen vor allem eine Tourist*innenattraktion sind. Dies führte während der Coro­na­pan­de­mie zu welt­weit stei­gen­der Gewalt gegen Betrof­fene. Das Narra­tiv der „Asiat*innen“ und ihrer vermeint­lich abscheu­li­chen Essge­wohn­hei­ten war bis dahin schon allge­mei­nes Credo. Dass also vermeint­lich der Verzehr eines Gürtel­tiers in Wuhan den Ausbruch einer Pande­mie ausge­löst hat, war nur allzu anschluss­fä­hig.

Nicht nur anti-asia­ti­scher Rassis­mus wird in Rassis­mus­de­bat­ten viel zu oft igno­riert, sondern auch die Geschichte viet­na­me­si­scher Migrant*innen in Deutsch­land. Wer weiß zum Beispiel, dass es nicht die eine viet­na­me­si­sche Einwan­de­rungs­ge­schichte gibt, sondern mindes­tens zwei? Die soge­nann­ten Boat­peo­ple, die in die BRD geflüch­tet sind und die Vertragsarbeiter*innen in der ehema­li­gen DDR. Viel zu wenig wird auch über die Pogrome in Hoyers­werda und Rostock-Lich­ten­ha­gen gespro­chen, zu deren poli­ti­schen Auswir­kun­gen eine Verschär­fung der Asyl­po­li­tik und sogar eine Grund­ge­setz­än­de­rung zähl­ten. Früher dachte ich, meine Fami­lie hatte einfach Pech, meine Geschichte sei indi­vi­du­ell. Aber dass es sehr vielen viet­na­me­si­schen Fami­lien genauso ging und unsere Probleme insti­tu­tio­nell so gewollt waren, darüber wurde nie gespro­chen.

„Was Armut und Exis­tenz­ängste mit meiner Gene­ra­tion mach­ten, wurde igno­riert. Wir waren unsicht­bar.“

Ich war zwei Jahre alt, als ich mit meiner Mutter nach Deutsch­land floh. Meine Mutter war sehr jung und sie hat sehr viel aufge­ge­ben, um uns ein besse­res Leben zu ermög­li­chen. Die Last und Sorgen, die sie mit sich getra­gen haben muss, wurden mir erst so rich­tig bewusst, als ich selbst Mutter wurde. Ich kann also nicht über meine Geschichte schrei­ben, ohne die meiner Mutter und meiner Fami­lie zu erzäh­len. Zudem habe ich ange­fan­gen, über Rassis­mus zu schrei­ben, als ich als Mutter rassis­ti­sche Mikro­ag­gres­sio­nen gegen­über meinem Kind erfah­ren musste.

Die aktu­elle Lage zeigt erschre­ckend viele Paral­le­len zu den 1990er-Jahren auf. Die hoch­ko­chende Asyl­de­batte, ange­trie­ben von Politiker*innen und Medien, führt auch heute zu Geset­zes­än­de­run­gen, die das Leben von Asyl­su­chen­den und Migrant*innen sehr schwer machen. Heute werden Wert­mar­ken wieder einge­führt, die es damals auch schon gab. Ressen­ti­ments gegen rassi­fi­zierte Menschen inner­halb der Domi­nanz­ge­sell­schaft gab es auch damals schon in Form von bren­nen­den Häusern. Die Zahl der Brand­an­schläge gegen Geflüch­te­ten­un­ter­künfte steigt wieder. Es sind beängs­ti­gende Zeiten.

Ich habe bereits 2021 auf die Anwe­sen­heit rechts­ra­di­ka­ler Verlage auf der Frank­fur­ter Buch­messe aufmerk­sam gemacht. Damals sagten deshalb viele, insbe­son­dere Schwarze, Autor*innen ab. Die Geschäfts­füh­rung wand sich in Schein­ar­gu­men­ten wie jenem, die Buch­messe sei ein unpo­li­ti­scher Ort, oder berief sich auf die Meinungs­frei­heit, obwohl es nie um Meinun­gen, sondern um Diskri­mi­nie­rung und reale Bedro­hung von rassi­fi­zier­ten Autor*innen ging.

Auf ihrem Insta­gram-Account erzählt Hami Nguyen mehr zu diesem Thema.

2022 wurden aufgrund des Angriffs­kriegs gegen die Ukraine russi­sche Verlage ausge­la­den. 2023 wurde aufgrund des Terror­an­griffs der Hamas die Preis­ver­lei­hung einer paläs­ti­nen­si­schen Autorin verscho­ben. Ohne hier­bei die Rich­tig­keit dieser Entschei­dun­gen zu bewer­ten, wurde damit jedoch bestä­tigt, dass die Buch­messe offen­sicht­lich doch poli­ti­sche Entschei­dun­gen tref­fen kann.

Gleich­zei­tig durfte aber der einfluss­rei­che rechte Verlag „Junge Frei­heit“ ausstel­len. Ich konnte es nicht mit meinen Werten verein­ba­ren, mich neben Rechts­ra­di­kale zu stel­len, um mein Buch zu bewer­ben. Auch wenn es für mich als Debü­tan­tin eher ein beruf­li­cher Nach­teil war, entschloss ich mich alle Anfra­gen auf der Buch­messe abzu­sa­gen.

© Felix Schmitt

Hami Nguyen wurde 1989 in Viet­nam gebo­ren und ist 1991 mit ihrer Mutter nach Deutsch­land geflo­hen, wo ihr Vater als Vertrags­ar­bei­ter in der DDR gear­bei­tet hatte. Sie studierte VWL, Sozio­lo­gie und Poli­tik­wis­sen­schaf­ten in Halle/Saale und Luzern. Hami Nguyen leitet in der Bildungs­stätte Anne Frank das Projekt „Hidden Codes“, das Jugend­li­chen dabei hilft, Anzei­chen rechts­extre­mer und isla­mis­ti­scher Radi­ka­li­sie­rung im Netz zu erken­nen und darauf zu reagie­ren. Sie setzt sich zudem als Akti­vis­tin auf Insta­gram unter @hamidala_ für eine gerech­tere Gesell­schaft ein.

@hamidala_

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